Immobilien und mehr


Inhalt:


1. Neujahrsbrief 2009 mit guten Wünschen

(Brief an unsere Zeitgenossen vom Silvestertag 2008)


2. An der Klippe einer neuen Zeit

(aus "Bayern Aktuell" vom Jahr  2000)

3. Zeiten der Rückbesinnung

(aus "Bayern Aktuell" vom Dezember 1993)

4. Zur Differenz zwischen dem was ist und was sein könnte

(Ausschnitt aus einem Aufsatz in "Bayern Aktuell" vom April 1992)

5. Aktuell

(aus "Bayern Aktuell" vom Dezember 1991)

6. Das Jahr 1981

(Schreiben an die Mitglieder des RDM Bayern zur Jahreswende 1981/82))



Texte



1. Neujahrsbrief 2009 mit guten Wünschen

An die Zeitgenossen und Zeitgenossinnen

Das Jahr 2008 ist – so scheint es – so schnell wie noch keines vorher zu Ende gegangen. Dabei ist klar, dass es sich um ein „gefühltes Tempo“ des Vergehens handelte. Sekunden, Minuten und Stunden verrinnen wie eh und je im gleichen Takt.

Es war wohl die Vielzahl der Nachrichtenströme, die uns bis hinein in unsere so viel beschworene „stille Zeit“ um Weihnachten begleitet und das Jahr zu einem unüberschaubaren Sammelbecken einer Unzahl von teils zweifelhaften Informationen gemacht haben. Zum Denken und Verweilen blieb kaum mehr Zeit. Hat uns das beeinflusst? Sind wir anders geworden? Ich glaube nein und das erscheint mir gut so. Vielmehr wurde lediglich etwas mehr von dem aufgedeckt, was im Verborgenen wirksam war und ist. Dies wurde bis heute nicht verstanden. Nicht weil wir es nicht verstehen wollen, sondern weil unser natürliches Vermögen, Erkenntnisse in einer so komplexen Ereigniswelt zu gewinnen, zum Verstehen gar nicht ausreicht. Vielleicht erkennen Menschen die wirklich viel wissen, nur 3% dessen, was es zu erkennen gibt. In einer sozialisierten Lebenswelt mit Denkkontrollen und Denkverboten vielleicht nur 2%. Viele aber maßen sich eine Wissenskompetenz an, die sie niemals besitzen können. So werden Parteiprogramme geschmiedet und Beschlüsse gefasst, die von Parteimitgliedern wie ein Dogma zu beachten sind. Andere Meinungen sind nicht mehr erlaubt. Es werden um der Macht willen Scheinwelten aufgebaut, die – hinterfragt man sie - keine Substanz haben. Dies gilt nicht nur für Parteien, sondern für viele andere Vereinigungen, in die sich Menschen zusammenschließen.

Die menschliche Gesellschaft ist kein Versuchslabor, an denen man die Wirksamkeit oder die Unwirksamkeit von Gesetzen und Verordnungen ausprobieren kann. Es verstößt gegen die Würde der Menschen, wenn sie dazu verurteilt werden, „Geßlerhüte“ zu grüßen, die an vielen Orten aufgestellt sind.

Viele Leute - vor allem Politiker - neigen heute dazu, nur noch in Geldkategorien zu denken und verlieren dabei die Menschen völlig aus ihren Augen. Jegliches Übel wird mit Geld bekämpft. Und wenn etwas mit Geld nicht gelingt, wird die Verantwortung auf die anonyme Gesellschaft geschoben. Eine Gesellschaft, die vom Staat korrumpiert wurde und immer noch wird. Alle Menschen sind Individuen. Sie sind von Natur aus ungleich. Weil alle Menschen ungleich sind, sorgt die Verfassung für die Gleichheit aller vor dem Gesetz. Nur so wächst aus der Ungleichheit eine hohe Kultur. In der Ungleichheit stecken ungeahnte kulturelle, gesellschaftliche und wirtschaftliche Synergien. Deutschland war einmal die Nummer eins als Kulturnation, ein Volk der Dichter und Denker. Das war einmal. Je mehr der Staat die Gleichheit aller Menschen in der Gesellschaft propagiert, desto mehr sorgt er für eine Ungleichheit aller Menschen vor dem Gesetz. Das beschäftigt zunehmend das Bundesverfassungsgericht.
Jeder Mensch hat unveräußerliche Rechte. Jeder Mensch, ob jung ob alt, ob arm ob reich, ob Deutscher oder Nichtdeutscher, ob gläubig oder nichtgläubig hat eine menschliche Seele. Jeder Mensch besitzt Fähigkeiten die er in die Gemeinschaft einer friedlichen Welt einbringen kann und sei es nur ein Lächeln, das andere ermutigt. Lächeln, gute Worte, hilfreiche Hände sind mit Geld nicht zu bezahlen. Jeder Mensch trägt ein einmaliges Bild in sich, hat eine natürliche Bildung. Auf die Entwicklung dieser Bildung kommt es an. Wer glaubt, nur (fremdes) Geld „in die Hand nehmen“ zu müssen, um Wohltaten oder gar Bildung zu erzeugen, irrt.

Uns geht es gut. Ich weiß, ich ecke an: Aber wir haben die reichsten Armen auf dieser Welt. Was aber bieten wir ihnen außer Versorgung mit Geld? Bildung heißt hier das Gebot.
Wir brauchen keine Bildung, deren Ideal darin besteht, Menschen zuerst in eine dunkle Höhle zu führen, damit sie dort das Lied anstimmen: „Brüder zur Sonne zur Freiheit“. Wir sind keine Menschen der Vergangenheit auch wenn sie ein wichtiges Lehrbuch ist. Unsere Chancen liegen in der Zukunft. Wir brauchen deshalb eine Bildung der Tugenden und der Bescheidenheit damit wir in dieser Zukunft froh und heiter bestehen können. Wissen ist abrufbar. Tugenden sind es nicht.

Aus diesen Zeilen ergeben sich meine Wünsche für das Jahr 2009. Sie schließen ein, dass die Menschen ihre Geschicke wieder selbst bestimmen können.

Ich schließe nicht mit dem Satz der Komiker, der da lautet: „Machen Sie’s gut“. Nein, ich schließe mit dem Satz: Ihr Leben möge sich so gestalten, dass Sie sich jeden Tag auf den nächsten Tag freuen können.

Gröbenzell, am Silvestertag 2008

Ihr

Erwin Sailer 


2. An der Klippe zu einer neuen Zeit?

An der Jahreschwelle zum nächsten Jahrtausend stellt sich für viele von uns die Frage, ob die durchschrittenen 365 Tage des Jahres 2000 einen Zeitabschnitt markieren, der einst von Historikern als einen Schritt des Wandels unseres Bewusstseins und Daseins gekennzeichnet werden wird.

In vielen Schlagwörtern unserer Tage - vor allem im Bereich der Ökonomie und Ökologie - kommt das Bestreben zum Ausdruck, den großen Wandel in unserer Gesellschaft anzuzeigen. Aber wandelt sich auch der Mensch?

Wenn unterschieden wird zwischen dem, was wir sind und dem, was wir hervorbringen, wird die Antwort immer zwiespältig ausfallen. Wer dies berücksichtigt, kann künftige Erkenntnisse schon heute vorwegnehmen. Denn Erkenntnisse solcher Art gelten über den Zeitrahmen, der uns zur Verfügung steht, hinaus. So erfahren wir eines immer wieder und werden es auch künftig erfahren: Wie wir in der heutigen Zeit Lebenden an der Unfähigkeit leiden, das Geschehen vergangener Jahrhunderte und Jahrzehnte objektiv - also von uns selbst absehend - beurteilen zu können und gleichzeitig am Ertragenmüssen der Gegenwart beständig leiden, so werden künftige Generationen verwundert auf uns blicken, nicht weil sie anders denken, fühlen und handeln, sondern weil sie geblieben sind, was auch wir heute sind und unsere Vorfahren schon immer waren - Menschen.

Das gilt auch aus der Perspektive der Moral: Es gibt keine Zeiten der guten und andere Zeiten der schlechten Menschen. Die Natur des Menschen ist beständig. Der Unterschied besteht vielmehr darin, dass es Zeiten gibt, in denen es Menschen gut und andere Zeiten in denen es ihnen schlecht geht. Geht es Menschen allgemein schlecht, werden sie zu Heroen und kämpfen für bessere Zeiten. Geht es Menschen allgemein gut, tun sie alles, damit es ihnen noch besser geht. Mit diesem Sich-selbst-überfordern aber beschleunigen sie das Herannahen schlechter Zeiten.

Und doch gibt es Unterschiede zwischen den Menschen. Differenz ist aber ein Wesensmerkmal und kein Zeitmerkmal der Menschen. Jegliches Bestreben, die Wesensdifferenz aufzuheben oder einzuebnen ist zum Scheitern verurteilt und birgt stets den Tod vieler in sich. Es gibt Differenzen zwischen Völkern und Nationen wie es Differenzen in den Landschaften, Blumen und Tieren gibt. Nur eines kann alle Menschen einen – ihre Würde. Deren Anerkennung ist die Verständigungsgrundlage für alle Völker.

Zu jeder Zeit wähnen viele Menschen sich zwar modern. Ja, es gibt einen gesellschaftlichen Wettbewerb der Moderne. Diese Menschen sind sich dessen nicht bewusst, dass die Moderne sich stets definiert als das Altmodische von morgen. Wer modern ist, bleibt der Gefangene seiner Zeit. Nur wenigen gelingt es, sich von der Zeit abzuwenden und sich im Wesentlichen zu konzentrieren. Solche Menschen gelten meist als unmodern, verlieren aber niemals ihre Bedeutung als Wegweiser für die Zukunft, während alles Moderne einmal war.

Wir häufen Wissen an. Wissen sei Macht, meinen viele. Wissen aber ist vergänglich. Seine Halbwertzeit verringert sich ständig und schrumpft zu jederzeit abrufbaren Informationen für den Tagesbedarf zusammen. Dagegen ist Weisheit eine bleibende Währung und der Schlüssel zum Verstehen und zur Überbrückung der Zeiten.

Johann Wolfgang Goethe war ein weiser Mensch. Sein Mephistopheles definiert sich selbst als “Teil der Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.” Ebenso gültig ist der Umkehrschluss. Manche idealistisch gesinnte Menschen sind ist ein Teil Kraft, die stets das Gute will und stets das Böse schafft. Wir können es ablesen in den Parolen dieser Zeitenwende. Danach gilt es Unheil zu bekämpfen. Aus der Perspektive derer, die es bekämpfen, kommt es bei jeweils Anderen zum Ausbruch. Die eigene Seele scheint verschont. Es wird nicht erkannt, dass das Unheil in der eigenen Seele schlummert und im hektischen Kampf dagegen selbst zum Ausbruch kommt. Das Gute aber lässt sich ebenso wenig wie das Böse erzwingen.

Wer andere Menschen durch Verbreitung von Skandalgeschichten an den Pranger stellt, erkennt kaum, dass er damit zugleich die Skandale seiner eigenen Persönlichkeit widerspiegelt. Zeugnisse gegen andere sind aber stets auch Selbstzeugnisse. Je weiter die Wirklichkeit von der über sie geäußerten Meinung entfernt liegt, desto stärker manifestiert sich darin der Eigencharakter dessen, der die Meinung verficht. Der Böse kann Gutes nicht dulden.

Solange es aber eine Menschheit gibt, wird es – dem Bösen sei getrotzt – auch Gutes geben. Ein Wunsch für die kommenden Zeiten: Werde das Gute selbst nie unduldsam, es verlöre seinen Charakter.


Erwin Sailer, Dezember 2000


3. Zeiten der Rückbesinnung

Vielleicht wird das Jahr 1993 einmal als das Jahr in die Geschichte eingehen, in dem ein Wendepunkt in der gesellschaftlichen Orientierung einzutreten begann. Als 1989 die Mauer für jeden sichtbar fiel, stand man urplötzlich vor der Notwendigkeit, Entscheidungen zu treffen, die das „Zusammenwachsen“ der beiden Hälften Deutschlands ermöglichen. Schon im Einigungsvertrag wurde deutlich, dass ein unbesehenes Überstülpen der durch feinmaschige Gesetze und komplizierte Verwaltungsstrukturen gekennzeichneten westlichen Gesellschaftsordnung auf die neu entstehenden östlichen Bundesländer nicht möglich sei. Es wurde von da an der sukzessiven Anpassung das Wort geredet. Gerade im Immobilienbereich gab es einen riesigen „Nachholbedarf“ an Neuinstallationen von Ämtern und Institutionen. Die Infrastruktur für ein neues Siedlungswesen musste geschaffen werden.

Vielleicht kann man von Glück reden, dass dies alles nicht von vornherein so gut ging, wie sich viele das gewünscht hätten. Nicht nur jahrzehntelange Vorprägung des Faktors Mensch in beiden Teilen Deutschlands, sondern auch die Unterschätzung der tatsächlichen wirtschaftlichen und verwaltungstechnischen Probleme in fast allen Bereichen führte zu einer Neubesinnung, die in diesem zu Ende gehenden Jahr in vielerlei Hinsicht wahrgenommen werden konnte. Noch vor zwei Jahren hätte man es kaum für möglich gehalten, dass ein Unternehmen wie das Volkswagenwerk die Viertagewoche ohne vollen Lohnausgleich zur Debatte stellen konnte. Beamten wird Mehrarbeit zugemutet, ohne dass sich dies im Einkommen niederschlägt. Offen wird davon gesprochen, dass die deutsche Bevölkerung sich in den kommenden Jahren mit sinkenden statt mit steigenden Einkommen abfinden muss, dass Arbeitslosigkeit durchaus kein kurzfristiges Anpassungsproblem, sondern ein gravierendes strukturelles Problem darstellt. Die Augen werden uns geöffnet, dass Subventionen künftig kräftig abgebaut werden müssen, weil wir und das Verharren ganzer Wirtschaftszweige in Unwirtschaftlichkeit nicht mehr leisten können.

Sicher ist die Wiedervereinigung mit dem eingeleiteten Wohltatentransfer in die neuen Bundesländer nicht die einzige Ursache dafür, dass der wirtschaftliche Riese „alte Bundesrepublik“ schwache Beine bekam. Vorauseilende Rückgänge der wirtschaftlichen Prosperität haben die anderen westlichen Industrienationen mit einem zeitlichen Vorsprung zu starker Rationalisierung des Produktionsprozesses gezwungen, was die nicht angepassten deutschen Industrien immer stärker in die Zwickmühle der internationalen Konkurrenz trieb. Jetzt ist eben diese Bundesrepublik an der Reihe. Nur Schlankheitskuren helfen, die Leistungsfähigkeit zu steigern und den Körper der Wirtschaft zu entschlacken. Zu lange hat man sich hierzulande damit befasst, sich die offenkundig gewordenen Ineffektivität sozialistische Produktionsmethoden am Beispiel der DDR vor Augen zu halten und die westlichen Bundesländer dagegen als heile Welt zu betrachten, bevor sichtbar wurde, dass es auch hier viel Ineffizienz und Unwirtschaftlichkeit gibt (die man sich scheinbar auch lange leisten konnte). Jetzt ist Nüchternheit auch bei uns eingekehrt. Die Probleme sind groß. Beschönigen geht nicht länger.

Warum aber soll dies ein Glück sein? Weil darin Chancen liegen, die offensichtlich auch gesehen werden. Wenden wir unseren Blick auf den Bereich der Immobilienwirtschaft, dann sehen wir, dass Neues im Entstehen ist. Es ist noch nicht lange her, da glaubte der Gesetzgeber, es jedem Bedenkenträger recht machen zu müssen. Vor allem der Wohnungsbau wurde zu einem geradezu abenteuerlichen Unterfangen. Mancher verlor sich im Labyrinth der Vorschriften und Ämter. Die zahlreicher und bunter werdenden Bedenkenträger fanden ihren Widerhall im Aufbau von immer mehr „Trägern öffentlicher Belange“. Fristen reihten sich an Fristen, Einsprüche an Einsprüche.

Da in den neuen Bundesländern auf diesem Wege gar nichts vorangegangen wäre, mussten Erleichterungen geschaffen werden. Und siehe da, es dämmerte die Erkenntnis, dass solche Erleichterungen auch für die westlichen Bundesländer hilfreich sein könnten. Bestimmte Erleichterungsvorschriften wurden plötzlich allgemein geltendes Recht. Fristen wurden gekürzt, Einspruchsmöglichkeiten in ihren hemmenden Auswirkungen abgemildert, zerstörerische Formfehler in Schönheitsfehler uminterpretiert.

Was noch wichtiger ist: Die Bedeutung der Unternehmen im immobilienwirtschaftlichen Leistungsprozess wurde neu entdeckt: Unternehmer nicht nur als Träger der Erschließung von Baugebieten und städtebaulichen Sanierungsmaßnahmen, sondern jetzt auch als Träger der Entwicklung von Siedlungsgebieten. Die Gemeinden werden quasi auf Kooperation mit der Wirtschaft festgelegt. Mit dem neu geschaffenen Gebilde des „Städtebaulichen Vertrages“ wird jetzt per Gesetz sanktioniert, was da und dort schon praktiziert wurde. „Bodenunternehmer“ werden jetzt Vertragspartner der Gemeinden in geregelter Form.

Es liegt nahe, den Bezug zu dem 80er und 90er Jahre des 19. Jahrhundert herzustellen. Damals war Städtebau noch weitgehend ureigenes Feld der Unternehmer. Maßnahmen der Bodenordnung waren, wie heute, Vorbedingung für die Entwicklung von Siedlungsgebieten. Die Terraingesellschaften, meist Tochtergesellschaften von Banken, besorgten dieses Geschäft autonom. Die Leistungen der damaligen Zeit waren, was den Wohnungsbau anlangt, enorm. Ohne das Wirken der Unternehmen von damals wären die heutigen Stadtstrukturen – in positiven wie negativen Erscheinungsformen - nicht denkbar. Ungeheuere Stadterweiterungsprozesse fanden statt. Der Jugendstil hielt nicht nur Einzug in die industrielle Erzeugung, sondern auch in den Bau von Wohnungen und öffentlichen Gebäuden. Dann kam nach dem Ende des 1. Weltkriegs die Zeit, in der die Früchte des Gemischs aus bürgerlich bodenreformerischen Ideen und sozialistischen Programmen aufgingen. Der als besonderes Übel gebrandmarkten „Bodenspekulation“ wurde der Garaus gemacht. Baulandproduktion wurde zum Gemeindemonopol. Es entstand – speziell in Deutschland – eine Atmosphäre der Gegnerschaft zwischen Gemeinden und Unternehmen. Während der Zeit des Nationalsozialismus dümpelte die Immobilienwirtschaft so vor sich hin. Nach dem 2. Weltkrieg kam es zur Grundsatzentscheidung für die Marktwirtschaft. Der schnell abgebaute Zwangsrahmen und der Fleiß der in die Freiheit entlassenen Menschen führten zu einem beachtlichen Aufschwung, den man gar als „Wirtschaftswunder“ bezeichnete. Auch die Wohnungswirtschaft wurde dank des „Lückeplans“ von ihrem Zwangskorsett befreit. Die Bauaktivitäten waren enorm. Die Gemeinden standen unter dem Zuwanderungsdruck und wiesen reichlich Bauland aus. Mit zunehmendem Wohnungswohlstand mischten sich Bedenkenträger aus allen Richtungen in das Geschehen ein. Zuerst wurde der Mieterschutz wieder aufgebaut. Dann ging es los wider die Versiegelung von Bodenflächen, für die Erhaltung von Biotopen, den Rückbau von Strassen, den Kampf gegen den Individualverkehr, für Tempo 30, die Erschwerung des Dachgeschossausbaus. Vernünftiges und Unvernünftiges floss gleichgewichtig in die öffentliche Diskussion ein. Dabei wurden die Sorgen um das öffentliche Wohl oft nur vorgeschoben um den puren Egoismus als die wirkliche Triebfeder zu kaschieren. Was waren das für skurrile Zeiten!

Heute ist es wieder möglich über Tabus zu sprechen. Unternehmer und Privatleuten sollen wieder mehr bauen. Mit dem Auto darf gefahren werden. Der Dachgeschossausbau wird gefördert. Freilich gibt es auch heute noch genügend Leute mit Positionen von gestern. Die großen Pendelausschläge dieses Jahrhunderts zentrieren sich aber offenkundig zur Mitte. Der Sinn für das Notwendige wächst und das verspricht eine gute Zukunft. Auch wenn die Wohlstandskurve in den kommenden Jahren nach unten gehen sollte, ist dies kein Grund für Pessimismus. Mögen die sich gerade in solchen Zeiten ergebenden Chancen von vielen unserer Leser im kommenden Jahr erkannt und genutzt werden. Dies wäre ein Wunsch in den Gedanken für das zu Ende gehende Jahr.

Erwin Sailer, Dezember 1993



4. Zur Differenz zwischen dem was ist und was

    sein könnte

Die Gedanken sind frei. Darum lässt sich in Gedanken auch trefflich experimentieren. Es lassen sich Zustände beschreiben, die in der realen Welt nicht existieren. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Viele werden sagen: Das ist nutzloser Zeitvertreib. Und doch ist es nicht nur reizvoll, sondern sogar erhellend, darüber nachzudenken, was wäre wenn …. Gemeint sind Zustände oder Situationen, von denen niemand rechnet, dass sie eintreffen könnten. Manche werden bei solchen Experimenten dazu neigen, Zustände zu beschreiben, von denen sie annehmen, dass sie, gäbe es sie, dem Paradies entsprächen.

Was wäre, hätte es den Sozialismus des 19. und 20. Jahrhunderts nicht gegeben? Wäre 180 Millionen weniger Menschen wegen dieser Gedankenverirrung ein grausamer Tod erspart geblieben? Wäre Russland schon längst ein blühendes Land? Gäbe es wegen der Ersparnisse sinnloser Ausgaben in Billionenhöhe in keinem Land mehr Hungersnöte? Gäbe es keinen drohenden Süd-Nord-Konflikt, keine akuten Terrorgefahren? Wären schließlich alle Menschen Brüder in einer befriedeten Welt? Sicher würde man der einen oder anderen Frage ratlos gegenüber stehen oder sie – je nach Standpunkt – sogar für unzulässig halten, weil wir auch Kenntnis von anderen Quellen des Unheils, etwa des Nationalismus und des Rassenwahns haben. Deshalb soll die Frage, was wäre wenn …. in kleineren realen Zusammenhängen gestellt werden. Real deshalb, weil sie konkret gedacht und gefordert werden.

So könnte man fragen, was wäre, wenn es – wie in früheren Jahren diskutiert - ein Grundrecht auf Wohnen gäbe, wie etwa ein Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit? Als Garant der Grundrechte der Bürger wäre stets die Autorität des Staates gefordert. Die letzte Anspruchsanforderung erfolgte bei ihm. Könnte er es nicht erfüllen, wäre es hohl, ein Stück Papier. Durch Gerichte aber könnte ihnen Geltung verschafft werden. In diesem Extremfall bliebe nichts anderes übrig, als die Herrschaftsgewalt über die Wohnungswirtschaft zu übernehmen, wie es in der untergegangenen DDR geschah, wo dieses Grundrecht in der Verfassung stand. Die Folgen dieses Grundrechts haben uns lange Zeit beschäftigt.

Nun könnte man einwenden, die DDR sei mit dem Deutschland von heute nicht vergleichbar. Das marode Wirtschaftssystem der DDR habe sich das Grundrecht wirtschaftlich nicht leisten können. Entlarvt aber nicht gerade ein solcher Einwand die Misere solcher Träumereien? Stehen nicht nach dem Grundrecht auf Wohnen ein Grundrecht auf Arbeit, ein Grundrecht auf Erholung und Gesundheit, ja ein Grundrecht auf Glück zur Erfüllung an?

Forderungen an den Staat, auch die banalsten und kleinlichsten haben schon immer zu einer schleichenden Entmündigung des Bürgers geführt. Was vom Staat gewährt wird, braucht nicht individuell verdient zu werden. Der Staat – das sind aber konkret die jeweils anderen. Der Staat schafft keinen Vermögensfundus, aus dem solche Wohltaten gewährt werden. Seine Bürger sind es. Der Staat in seiner konkreten Ausgestaltungsform - Bund, Länder, Gemeinden, Fachkörperschaften – sind nur Medien, jenseits deren wieder die Bürger anzutreffen sind. Das System des Forderns und Gewährens von Gütern, die nach vergangenen Vorstellungen das Paradies ausmachen, ist nach Abzug dieses Schleiers immer ein Fordern, ein sich Gebenlassen vom Nachbarn, vom Nächsten oder vom Übernächsten. Dieses Hin- und Herverteilen von Gütern zwischen den Menschen nach immer komplizierteren Regeln zermalt viele dieser Güter in der Verteilungsmaschinerie, ohne dass sie je Nutzen stiften könnten. Dieses sich vielfältige Überlagern und Auslassen von Zuteilung und Belastung lässt die Rechtfertigung, es handle sich um einen Akt der „sozialen Gerechtigkeit“ zu einem banalen Geschwafel verkommen. Soziale Gerechtigkeit dieser Art setzt zwingend voraus, die Gerechtigkeit selbst abzuschaffen. Soziale Gerechtigkeit, untaugliches Bemühen, wirtschaftliche Gleichheit in allen Lebenslagen zu garantieren, hat ein System der Ungleichheit aller vor dem Gesetz zur Folge.

Erwin Sailer, April 1992


5. Aktuell

„Bayern Aktuell“ hat in diesem Jahr eine Menge Informationen geliefert. Sicher waren sie nicht immer aktuell und das konnten sie dann nicht sein, wenn es darum ging, über Themen zu referieren, denen der unmittelbare Bezug zum Tage fehlte. Vielfach sind es aber aktuelle Ereignisse, die zur Produktion von Schlagzeilen geeignet sind, solche, die schon morgen ihre Spur in der Geschichte verloren haben. Natürlich haben sie Unterhaltungswert – mehr aber nicht.

Höchst aktuell können aber Ereignisse sein, die Vorgänge mit weit reichenden Folgen auslösen. Jeder Mensch ist auf die Zukunft hin angelegt, ob er es will oder nicht. Wer auf die vergangenen Jahre zurückblickt, kann sich dem Eindruck nicht entziehen, dass wir in einer historisch bedeutsamen Epoche leben. Es bewegt sich Vieles. Da schlägt die Stunde der Psychologen, die häufig Ängste ausmachen, interpretieren und darüber so spekulieren, dass es nahezu modern wird, Ängste zu haben. Die Deutung der Zukunft verzerrt sich bestenfalls ins Astrologische und schlimmstenfalls in Apokalyptische. Je besser die Menschen versorgt sind, desto größer wird die empfundene oder nachgebetete eigene „Not“. Der Boden wird vorbereitet, einem so illuminierten Bewusstseinszustand die Zudringlichkeiten, die sich aus den Nöten anderer (vor allem in entfernteren Regionen) ergeben, abzuwehren. Märkte werden geschlossen, um Versorgungsstandards nicht zu gefährden. So wurde auch von Wohnungsnot viel gesprochen. Welcher Bedrängte war gemeint? Der Asylant etwa, der zwischen Lagern hin- und hergeschoben wird, sein Dasein in Turnhallen fristet, oder der „arme“ Bundesbürger, dem die hohe Miete Sorgen bereitet, weil auch das Benzin für das Auto und damit die Urlaubsreise teurer geworden ist?

Der allerorten grassierende Egoismus hält Einzug auch in kleinen Gemeinden. Abschottung vor Zuzug, Bauland nur noch für Einheimische, Angst vor „Überfremdung“ – das alles bezieht nicht etwa nur auf Ausländer, sondern auch schon auf Bürger aus dem benachbarten Bundesland.

Umweltschützer treten mit radikalen Konzepten auf. Führen das Wort im Kampf gegen die Autofahrer (die jeweils anderen, versteht sich). Straßen werden verengt, immer mehr Fallen und Schwellen – „Aufpflasterungen“ – prägen zur heimlichen Freude der Autoindustrie die Verkehrslandschaft. „Pförtnerschaltung“ nennt man verharmlosend das System, den Autofahrern stets die rote Ampel bei laufenden Motoren zu zeigen. „Luftverpestung für den Umweltschutz“ könnte das Motto dieser Politik der radikalen Dummheit lauten. Und die Vertreter diese Konzepte gebären sich wie Lehrer des Volkes. In Umkehrung des Satz von Mephistopheles könnte man sagen, sie sind ein Teil der Kraft, die stets das Gute will und stets das Böse schafft.

In Regensburg wird 1992 das neue Großklinikum eröffnet. 1.400 Mitarbeiter werden, um es erreichen zu können, auf Umwegen durch diese Stadt mit ihren großen Verkehrsproblemen mit viel Ärger fahren müssen. Warum ist das so? Weil eine zusätzliche Autobahnausfahrt neben dem Klinikum von Übel wäre. Nicht dass die Regensburger Oberbürgermeisterin an Hexen glaubte. Nein, sie entscheidet sich vielmehr für die Umwelt. (Das ist kein Witz).

Woran glauben Leute dieser Art wirklich? An den eigenen Verstand, leider zu sehr. Und woran glauben sie nicht? An den Verstand der vielen anderen. Was gilt dann schon das Votum dieser anderen, auf dem die Demokratie beruht? Das ist der Weg in die Radikalität. Lieber die Umwelt heute noch ein wenig mehr schädigen, bis die „Masse“ begreift. Perspektiven der Geschichtslosigkeit tun sich hier auf wie ein Abgrund. Radikale sind Leute, die – solange sie radikal sind – nichts lernen, denen die Geschichte fremd ist. Sie wollen aber, dass die anderen lernen. Sie führen sich damit selbst ad absurdum. Nur erkennen sie es nicht. Das aber ist die gefährlichste Art der Dummheit, die in der Geschichte schon immer die Menschheit und die Gesellschaft bedrohte.

Ein historisches Kapitel ist – hoffentlich – abgeschlossen. Das des Sozialismus. Zu krass waren die Ergebnisse, die sich aus der Ausschaltung der Demokratie des Marktes ergaben. Millionen von Toten säumen den Pfad dieses Irrwegs. Schauen wir aber näher hin, gibt es auch noch heute Verteidiger. Eine gute Idee sei verraten oder von Ignoranten missbraucht worden. Sind aber nicht gerade diejenigen, die so denken, die eigentlich Verantwortlichen, die nichts lernen wollen?

Radikale gibt es in vielfältigen Variationen. Sie arbeiten mit den Waffen der Diskreditierung und der Kriminalisierung jener, die nicht zustimmen wollen. Sie verlieren nie ihre Aktualität. Heute sind es Ökoradikale, die den Ton angeben, „Ängste“ schüren, zerstören und nicht aufbauen. „Die Menschen brauchen die Natur, die Natur aber nicht den Menschen.“ Eine gute Feststellung. Lebte Friedrich Nietzsche noch, würde er den Schluss ziehen: Also schaffen wir den Menschen ab. Er spräche aus, was manche denken – nur nicht so radikal.

Es ist besser, in guten Zeiten Kritik zu üben, als in schlechten Zeiten bedauern, keine Kritik geübt zu haben. Darin liegt der Sinn dieses Beitrages an der Wende zum nächsten Jahr.

Erwin Sailer, Dezember 1991


6. Das Jahr 1981

(Schreiben an die Mitglieder des RDM Bayern zur Jahrerswende 1981/82)

Wahrscheinlich wird gar nicht gesehen, dass es neben der registrierten Arbeitslosigkeit auch noch eine heimlich gibt, die darin besteht, dass im immer größer werdenden Beamtenapparat aber auch in der Großindustrie Leute „beschäftigt“ besser gesagt, gehalten werden, für die man eigentlich keine sinnvolle Arbeit hat. Auch zusätzliche Beschäftigungsprogramme würden zu mehr Verschleierung der Realität führen. Es gibt noch immer Leute, die denken, man könne nach den alten Rezepten von Keynes Beschäftigung produzieren. Man vergisst, dass das Keynes’sche Konzept nur dort erfolgreich ist, wo Arbeitslosigkeit nicht subventioniert wird. Da erscheint es für viele ökonomisch richtiger, im Zustand der Arbeitslosigkeit zu verharren, als sich bietende Beschäftigungsmöglichkeiten, die es gleichzeitig immer mehr gibt, wahrzunehmen. Die eklatante Sinnwidrigkeit, die in diesem System liegt, wird geduldig ertragen.

Im Dezember vergangenen Jahres haben wir von düsteren und ärgerlichen Aspekten aus der Vergangenheit gesprochen, die uns ins Jahr 1981 begleiten würden. Der Konjunkturhimmel war unserer Wirtschaft, gerade auch der Wohnungswirtschaft, nicht gut gesonnen. Befürchtungen einer rezessionsähnlichen Entwicklung sind wahr geworden. Zwar gibt es immer noch eine erfreuliche Gelassenheit, wenn geschäftliche Probleme angesprochen werden und wenn allenthalben darauf hingewiesen wird, dass die Umsätze stark gesunken sind. Es scheint auch so zu sein, dass die jetzige Entwicklung nicht die Ausmaße der letzten Rezession der Jahre 1974 – 1975 annahm, als  Wohnungshalden und ein riesiges Überangebot entstanden, dem keine Nachfrage mehr entsprach. Die Entwicklung des Jahres 1981 war vielmehr gekennzeichnet durch ein abnehmendes Angebot wie auch durch eine außerordentlich zögernd gewordene Nachfrage. Hoffnungen auf eine nachhaltige Wende bei den Kapitelmarktzinsen haben sich ebenfalls nicht erfüllt.

Auch die politischen Ereignisse leisteten keinen Beitrag zu einer hoffnungsvollen Stimmung. Wer heute glaubt, dass in den westlichen Ländern inzwischen die Grenzen des Wohlfahrtstaates erreicht sind und dass es ganz offensichtlich mit einer Fortsetzung der Politik sozialer Wohltaten zu Ende ist, der übertreibt nicht, der untertreibt. Diese Grenzen sind bereits überschritten. Es fällt unseren Politikern unsagbar schwer, das von ihnen selbst erzeugte Anspruchsdenken so zu reduzieren, dass die Volkswirtschaft wieder die Chance hat, sich zu erholen. Dies eben stimmt pessimistisch. Für große Haushaltslücken, die man allmählich in periodischen Abschnitten neu entdeckt, werden Scheinlösungen angeboten. Der zunehmenden Arbeitslosigkeit will man finanziell durch Erhöhung der Arbeitslosenbeiträge begegnen, obwohl jeder Vernünftige weiß, dass dies schon keine Lösung mehr ist und noch mehr Arbeitslosigkeit produziert.

Was zusätzlich erreicht wird ist eine weitere Annäherung des Leistungslohns an das Arbeitslosengeld und damit eine zunehmende Provokation für diejenigen, die noch arbeiten.

Im Grunde ist vorauszusehen, dass dieses System, das so stark sozialistische Züge trägt, über kurz oder lang zusammenbrechen wird. Nur – was folgt auf die Ära des Sozialismus, nachdem dieser so offenkundig am Ende ist. Und das bestätigt nicht nur ein Blick in den Osten, sondern auch in einige Nachbarländer. Diese Frage müsste brennend aktuell werden. Vielleicht besinnen sich die Parteien im Jahr 1982. Vielleicht haben sie den Mut zu einem neuen politischen Entwurf.

Dass der Einzelmensch neu gefordert wird, steht außer aller Frage. Dass es dabei nicht genügt, sich mit Theorien über das Staatsversagen aufzuhalten, wie sie immer moderner werden, sondern dass auch Wege aus der sozialen Umklammerung der Menschen durch den Wohlfahrtsstaat gewiesen und beschritten werden müssen, wird zur existenziellen Notwendigkeit werden.

Wir können in dieser Zeit des Umbruchs und der Neuorientierung unseren Mitgliedern nur Hoffnungen und gute Wünsche für eine positive Entwicklung ihrer privaten und geschäftlichen Belange mit auf den Weg ins neue Jahr geben, verbunden mit er Zuversicht, die uns die Natur der Menschen lehrt, dass sie nämlich auch eine Periode der Irrwege – und mag sie ein halbes Jahrhundert dauern – ohne wesentlichen Schaden zu überstehen vermögen.

Erwin Sailer, Dezember 1981


Aktualisierung: am 10. Januar 2009